Sonntag, 17. Oktober 2010

Blockaden

Holz E. von Bald

Es hatte mit einer Schreibblockade zu tun. Seit Monaten nun brachte ich nichts mehr zu Papier. Nicht, dass ich keine Ideen mehr gehabt hätte. Davon gab es genug. Sie schienen mir sogar relevant zu sein. Doch irgend etwas hinderte mich daran, sie aufzuschreiben. Ich weiß nicht, was es war. Es hatte mit einer Schreibblockade zu tun. Seit Monaten nun brachte ich nichts mehr zu Papier. Nicht, dass ich keine Ideen mehr gehabt hätte. Davon gab es viele. Einige schienen sogar relevant zu sein. Doch irgend etwas hinderte mich daran, sie aufzuschreiben. Es hat wohl mit einer Schreibblockade zu tun. Seit Monaten bringst Du nun nichts mehr zu Papier, sagte mein wohlmeinender Freund. Es ist nicht so, dass ich keine Ideen mehr habe, entgegnete ich. Davon habe ich viele. Darunter sogar einige relevante.

Doch irgend etwas hindert Dich daran, sie aufzuschreiben. Aber ich kann Dir weiter helfen, sagte mein sich für gewöhnlich direkt vor meinen Augen materialisierender, aber immer wohlmeinender Freund. Er gab mir den Rat, einen Motivator aufzusuchen. Er wird Dir helfen, so wie er schon mir geholfen hatte und vielen anderen zuvor, die den Kopf voller Ideen hatten und nicht weiter wussten, sie zu nutzen. Er schrieb eine Adresse auf und hielt mir den Zettel hin. Daraufhin verließ er meine Wohnung durch die ihm ebenfalls gefällige Art des Sich-Einfach-In-Der Luft-Auflösens. Darüber wie immer irritiert, hielt ich den Zettel in der Hand und dachte: Er muss sich unbedingt eine andere Form des Kommens und Gehens überlegen, sonst drehe ich noch durch. Eines Tages.

Später rief ich den Motivator namens Bertollo unter der angegebenen Nummer an und machte mit einer Sprechstundenhilfe namens Belinda einen Termin aus. Da Sie privat versichert sind, spielt es keine Rolle, wann und ob Sie kommen, sagte Belinda, die es sich zwischendurch anders überlegte und nun lieber Carla heißen wollte. Gut, sagte ich, dann komme ich gleich morgen. Gegen zwei Uhr am Mittag, wäre das recht, Carla? Belinda. Ich heiße Belinda. Vierzehn Uhr, morgen. Bänkelstraße 17. Ist recht. Wiederschaun. (Klack)

Am nächsten Tag setzte ich mich auf mein Moped, eine alte, senfgelbe Simson mit abgeschlagenen Blinkerärmchen und zerritztem Sitzpolster. Ich startete das Relikt und fuhr damit los, etliche Rauchzeichen hinterlassend, um nachfolgenden Menschen anzuzeigen: Hier stand einmal ein Moped. Hustend und keuchend ist es nun fortgefahren. So what? Eventuell gefundene Blinkerärmchen bitte in den Briefkasten werfen oder einem vorbeiziehenden Nazi auf die Schädeldecke hauen. Vielen Dank!

Die Praxis des Motivators befand sich im äußersten Norden der Stadt, also hatte ich eine weite Reise vor mir. Zwischendurch rastete ich und tankte die Simson auf. Ich selber machte noch ein paar gymnastische Übungen und aß einen Schokoriegel. Dann fuhr ich weiter. Als ich endlich im äußersten Norden der Stadt angekommen war, es also beinahe geschafft hatte, konnten mich weder der Stadtplan noch der mitgeführte Kompass zur Praxis in der Bänkelstraße führen. Die Nadel drehte sich wie verrückt im Kreis und die Karte war verkehrt, egal wie ich sie hielt. Also fragte ich Passanten nach dem Weg, doch die zuckten nur kurz mit der Schulter und setzten munter pfeifend ihren Weg fort.

In heller Aufregung fuhr ich mit der Simson hin und her, doch ich konnte die Praxis einfach nicht finden. Mit einem Blick auf die Uhr entschied ich nun, wieder nach Hause zu fahren. Den Termin hatte ich ja bereits verpasst. Also fuhr ich geradezu wieder nach dem Süden der Stadt. Ich musste mich jedoch verirrt haben. Denn vor meinen Augen tat sich ein großer See auf. Ich stand vor der Frage, in welche Richtung ich ihn umfahren müsste, um wieder zur ursprünglichen Route zurück zu finden. Ich entschied mich für den Osten, doch nach einer halben Stunde Fahrt hatte ich den See nicht umrundet und eher das Gefühl, als entfernte ich mich immer mehr von meinem Ziel, statt ihm näher zu kommen. Dann fuhr ich zurück nach Westen und darüber hinaus, bis ich in einer Sackgasse Halt machen musste. So kam ich nicht weiter, soviel stand fest.

Ich schaute mich um. Ich befand mich in einer engen, menschenleeren Straße, alter Pflasterstein. Um mich herum waren schmucklose, mehrgeschossige Häuser etwa aus der Wende vom 19ten zum 20ten Jahrhundert. Der Putz war schon vor langer Zeit abgebröckelt und legte Ziegelsteine frei, die mittlerweile völlig verrußt waren. Steinerne Treppen, umwehrt von Eisengeländern, wuchsen von der Straße hinauf zu wuchtigen Hauseingängen, die Türen aus massivem Holz, abgeblätterter Lack. Die Fenster der Häuser, wie in früheren Zeiten doppelt gerahmt und verglast. Blumentöpfe voller Geranien setzten grelle Farbtupfer auf die grauen Wände. Über die Straße hinweg behängte Wäscheleinen.

Ich stellte den Motor ab. Irgendwie musste ich einen Weg nach Süden finden, zur Not durch die Häuser hindurch. Ich stieg die Treppe des mir den Weg versperrenden Hauses hinauf und trat ein. So sehr ich auch suchte: Es gab keinen Hinterausgang. Als ich enttäuscht wieder hinaus wollte, ging ich versehentlich durch ein Wohnzimmer, in dem sich gerade ein junges Paar stritt. Es ging um die üblichen Probleme. Erst wollte ich vermitteln, doch dann überlegte ich es mir anders und schlich mich aus der Szene. Dieser Streit ging mich nichts an.

Zurück im Treppenhaus und voller Neugierde, die ich mir heute nicht mehr erklären kann, stieg ich die Treppe hinauf und schaute mir Stockwerk für Stockwerk an, beobachtete die Menschen in ihren Wohnungen, staunte, lachte und weinte, als ich ein schönes Mädchen tot in der Badewanne vorfand, das Wasser darinnen blutrot verfärbt. Ein junger Mann saß lächelnd daneben und hielt ihre blutleere Hand in den seinen.

Erschüttert von diesem zärtlichen Bild wechselte ich in eine andere Wohnung und fand eine Familie beim Kaffeekränzchen vor, als der Vater dem Kleinsten gerade mit dem schweren Küchenmesser die Hand abschnitt. Wahrscheinlich hatte er nach einem Stück Kuchen gegriffen, ohne artig zu fragen. Reumütig blickte der Kleine seinen Vater an, wissend um des Vaters Pein: Den stärksten Schmerz fühlt stets das Elternteil, das straft.

Andächtig verließ ich auch diese Szene und fand andernorts einen Kindergeburtstag vor, ausgelassen lachende Kinder in Kostümen, die den gefesselten, am Boden liegenden Clown, freudig boxten und kniffen. Dessen Hilferufe erfreuten auch die Erwachsenen, die auf ihren Stühlen saßen und begeistert in die Hände klatschten. Ich nahm ein Stück Geburtstagstorte und schmierte es dem Clown ins Gesicht. Und immer wieder rief er um Hilfe, zum Totlachen das Ganze. Wann hatte ich zuletzt einen solchen Spaß?

Erhitzt vor lauter Lebensfreude ging ich hinaus auf die Terrasse. Ein junger, südländisch ausschauender Mensch, kam auf mich zu und fragte nach Feuer. Ich gab ihm welches. Wir rauchten beide andächtig und betrachteten den großen See in der bereits untergehenden Sonne. Er meinte, das Licht sei nun besonders gut. Ob ich denn etwas dagegen hätte, wenn er mich photographierte. Ich verneinte und fragte, was ich tun solle. Einfach ich selbst sein solle ich, das genüge. Ich wusste gar nicht, wie das geht: ich selbst sein. Doch dem jungen Mann schien zu gefallen, was ich tat.

Er photographierte und photographierte, kam mir dabei immer näher. Mich interessieren die Muster, mich interessieren Details, nuschelte er in die Kamera hinein, während er immerfort das Objektiv justierte. Bis er endlich nur noch wenige Zentimeter von meinem Jackett entfernt war und dessen Musterung schoss. Als er sich nach etwas mehr als einer viertel Stunde wieder etwas entfernte und endlich damit aufhörte, sich für meine Muster und Details zu interessieren, dankte er mir überschwänglich. Er küsste mich auf den Mund und verschwand in der Wohnung.

So blieb ich noch eine Weile auf der Stelle stehen und dachte an nichts. Ein wunderbares Gefühl überkam mich dabei. Dann wandt ich mich wieder dem herrlichen Panorama zu und bedachte den aufkommenden Nebel mit einem stillen Gruß. Dessen Arme erhörten mich bald und griffen zärtlich nach mir. Sie ließen mich schlussendlich ganz verschwinden in seiner köstlichen, diffusen Konsistenz. Ich schloss die Augen und ließ es geschehen.

HEK 17.10.2010

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