Dienstag, 18. August 2009

Am Ende eines Korridors

Als ich es dann endlich schaffte, einen neuen Job zu bekommen, war ich überglücklich. Mein alter Arbeitgeber war ein richtiges Schwein, er grabschte nach jedem, der noch einen letzten letzten Rest von Ehrgefühl hatte, und schuf unter den Angestellten ein Klima von Mißgunst und unwürdiger Abgeklärtheit. Ich möchte nicht mehr darüber sagen.

Nun aber war ich in einem kleinen, familiären Betrieb gelandet, und ich fühlte mich sofort wohl. Schon nach wenigen Wochen gelang es mir, Freundschaften unter den KollegInnen zu schließen. Die zwar mit viel Arbeit ausgefüllten Stunden vergingen schnell, ein Plausch war allemal möglich. Die Kundschaft, mit der ich zu tun hatte, erwies sich als sehr angenehm, mehr als ich mir erhofft hatte. Selbst die Dienstfahrten innerhalb der Stadt waren mir eine willkommene Abwechslung, konnte ich mir doch ausreichend Zeit dafür nehmen.

Dabei wurde mein Einsatz für die Firma stets gelobt, schnell hatte ich bei meinem Vorgesetzten einen Stein im Brett. Völlig neidlos befeuerten mich meine KollegInnen, die ja auch allesamt einmal hier angefangen hatten und ähnliche Erfahrungen gemacht haben mussten. In ihren entspannten Gesichtern und ihrer lockeren Körperhaltung erkannte ich meine eigene Zukunft. Genau so wollte ich schließlich einmal aus dem Berufsleben ausscheiden: Entspannt und neugierig auf meinen Lebensabend. Keineswegs aber gehetzt und über den Tod hinaus gedemütigt, was mir eine andere, vergangene Zukunft prophezeite.

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Alles sollte anders werden. Man traf sich mit den KollegInnen zu freundschaftlichen Zusammenkünften, kochte gemeinsam und lachte viel. Der Betrieb florierte unterdessen, wuchs trotz der freundschaftlichen Laxheit stetig und erzielte enorme Gewinne. Insgeheim durften wir uns alle auf eine kleine Gehaltserhöhung freuen, und nach einem Jahr Betriebszugehörigkeit stand mir ein komfortabler Bürostuhl zu, der dreh- und sogar höhenverstellbar ist und sogar fünf Räder untendran hatte.

Diese kleine Schrulligkeit, dem Personal nach und nach Gemütlichkeiten zukommen zu lassen, entsprach meinem Vorgesetzten sehr, der sich schließlich ebenfalls in seinem Leben alles erarbeiten musste, Stück für Stück. Er zählte bereits 32 Lenze, so pflegte er beim gemeinsamen Dinner gerne zu schwadronieren, bevor er überhaupt seinen ersten Schreibtisch bekommen habe. Und es dauerte weitere fünf Jahre, bis er Ansprüche auf den dazu passenden Bürostuhl erworben hatte. Bis dahin erledigte er seine Arbeiten auf dem Fußboden kauernd, denn das lange Stehen fiel im schon von Kindesbeinen an schwer. „Aber Opi erzählt mal wieder vom Krieg“ prustete er dann los und überliess das Gespräch wieder seinen Angestellten, die sich ganz vortrefflich alleine unterhalten konnten.

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Unser Vorgesetzter war nun schon längst im Rentenalter, doch blieb es unvorstellbar, dass er uns jemals verlassen würde. In seine offen gezeigte Heiterkeit mischte sich in den letzten Monaten jedoch eine Verwundbarkeit, ja sogar eine Art von Traurigkeit, die sich in seine krause Stirn eintrug.

Dann kam ein Gerücht auf: Der Betrieb habe die oberste Gewinnmarge überschritten und müsse nun expandieren oder vor die Hunde gehen, raunte eine Kollegin. Ein anderer Behauptete das glatte Gegenteil. Der Gewinn sei fortgebrochen und nun suche man nach einem Investor, das habe ihm der Vorgesetzte in einer nachlässigen Minute jedenfalls erzählt. Bei genauerem Nachfragen stellte sich jedoch heraus, dass der Kollege nur gelauscht hatte und sich mit einem Mal nicht mehr so recht sicher war, was er nun gehört habe und was nicht.

Wie dem auch sei, aufgrund dieser mehr als vagen Aussagen geriet das Betreibsklima etwas aus den Fugen. Jeder machte sich Sorgen um sich selbst, das Gemeinwohl litt sehr darunter. Der Vorgesetzte wurde Tritt auf Schritt beobachtet, jede seiner Bewegungen analysiert und gewogen. Allein, sie ließen keinerlei Rückschlüsse zu.

Doch alles blieb beim Alten, es ließen sich keine Anzeichen für eine Änderung feststellen, die Gerüchte verblichen wie alte Fotografien, bis sie gänzlich in sich zusammen fielen und in Vergessenheit gerieten. Allmählich entspannte sich die Belegschaft wieder. Es wurde gescherzt und gelacht, und alles war wieder wie früher, ging seinen gewohnten Gang.

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Im Nachhinein waren die Zeichen für den Wandel unübersehbar. Der Vorgesetzte ließ sich kaum noch blicken, und wenn doch, dann war seine Sorgenstirn noch krauser als sonst. Auch sein Lachen über die Scherze der Angestellten klang hohl, und seine eigenen Witzigkeiten waren durchdrungen von einem seltsamen Schmerz. Es war zu leicht gewesen, das alles auf sein fortschreitendes Alter zu schieben. Da kämen halt die kleinen Zipperlein und eine Altersgrantigkeit, meinten die KollegInnen nicht nur einmal.

Andere glaubten zu wissen, dass seine Verrentung bevorstand und er nicht damit klar käme. Denn was sei er denn ohne seine Firma, ohne seine Angestellten? Doch all diese Vermutungen bestätigten nur unsere eigene Blindheit und verdeutlichte unsere überstarke Angst davor, das Unvermeidbare zu erkennen.

Dann trat unser Vorgesetzter eines Tages an, verkündete knapp die Übernahme unseres Betriebes durch ein anderes Unternehmen und seinen Weggang. Er teilte uns sein Bedauern mit, aber am Ende sei es nicht mehr anders gegangen. Wie sich herausstellen sollte, war das Unternehmen, dass von nun an die Geschäfte unseres Betriebes leiten sollte, jenes, aus dem ich zuvor ausgeschieden war. Nun ja, dachte ich, solange alles beim Alten bliebe bei uns, dann wollte ich mich nicht sorgen.

Unser Vorgesetzter verabschiedete sich und verliess uns in schleppendem Gang, aals sei es sein Weg zum Schaffott und wir seine letzten Zeugen. Keiner sprach mehr ein Wort, alle blickten betreten zu der Seite, auf der sich schon unsere neue Zukunft auftat, als dort einige schwarzgekleidete Herren ihre Aktenkoffer öffneten.

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Nichts blieb, wie es war: Unser gemütlicher Betrieb musste umgehend verlassen werden, man verfrachtete uns wie Vieh in das mir verhasste Firmengebäude des Unternehmens. Nun aber waren dort die Decken viel niedriger als zuvor, die Büros waren zudem viel kleiner, als ich es in Erinnerung hatte. Wie uns später erklärt wurde, hatte die Unternehmensleitung es veranlasst, einige Zwischenetagen einbauen zu lassen, damit die neue Belegschaft aufgenommen werden konnte.

Die kleinen Parzellen, in denen wir nun arbeiten mussten, waren stickig und heiß. Die marode Klimaanlage, die direkt über unseren Köpfen angebracht war, schlug einen metallischen Rhythmus, dem Paukenschlag auf einer Galeere gleich. Wie Ruderer stempelten wir im Takt Papierberge ab.

Die Stammarbeiter im Betrieb hassten uns sofort, weil sie wegen uns in eine ähnliche Situation geraten waren. Auch ihre Decken waren nun niedriger und ihre Büros kleiner. Es bereitete ihnen keine Befriedigung, dass wir geringer entlohnt wurden als sie. Wir waren ihre Feinde.

Auch unter uns verschlechterte sich das Klima zusehends. Erstmals seit langem bemerkte ich wieder denselben Neid und diesselbe Missgunst unter den KollegInnen, wovor ich einst geflüchtet war. Mir schnürte sich die Kehle zu, mein Herz schlug mir bis zum Hals. Es war überdeutlich, dass ich sofort würde kündigen müssen. Meine glückliche Zukunft, die ich mir noch vor wenigen Wochen so farbenfroh ausmalte, war plötzlich überschattet von Furcht.

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Am nächsten Tag ging ich gleich hinauf zur Chefetage, um mit der Sekretärin einen Termin zu vereinbaren. Sie beschied mir, ich könne gleich hier oben bleiben, der Chef nehme sich so bald wie möglich Zeit für mich. Allerdings müsse ich die Zeit, die ich hier verbrächte, nacharbeiten. Ihre Augen schauten streng unter der Brille durch, als sie dies sagte.

Das mache mir nichts, denn es sei wichtig, antwortete ich und setze mich auf den mir zugewiesenen Stuhl. Ich wartete daraufhin Stunde um Stunde. Ich sah die Sonne untergehen und die Sterne funkeln, und dann verschwanden die Sterne und die Sonne ging wieder auf. Es kam sodann der Morgen und der Mittag, dann die Nacht, und erst am dritten Tag wurde ich in das Büro des Chefs hineingebeten.

Sie möchten also kündigen, wie ich höre?

Der Chef hatte keinen Sinn für Nettigkeiten. Nie gehabt.

Sie wissen, dass das nicht so einfach für Sie sein wird wie beim letzten Mal? Offenbar erinnerte er sich an mich. Ich antwortete ihm, ich sei bereit, alles zu tun, nur um seine Firma verlassen zu können, zur Not verzichtete ich auch auf mein Gehalt für die letzten Wochen.

Das wird nicht reichen, und das wissen Sie! Die Übernahme Ihres Betriebes hat uns viel Geld gekostet. Wir müssen daher eine Ablösesumme von 50.000 Euro von Ihnen verlangen.

Soviel Geld habe ich aber nicht.

Ich schluckte schwer, schmeckte Blut in meinem Speichel.

Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als die Summe bei uns abzuarbeiten! Sie können es sich überlegen. Gehen Sie jetzt zurück an die Arbeit.

Als ich die Tür hinter mir schloss, stand ich vor einem langen Korridor, dessen Ende ich nicht mehr erblicken konnte.

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