Dienstag, 18. August 2009

Terminal2

Es war vorhersehbar gewesen. Gerade verließen wir unser Haus an der Küste, das wir von unserem Arbeitgeber gestellt bekommen hatten. Der Bus, der uns zum Flughafen bringen sollte, war komfortabel, Air-Condition Inside, wie ein Aufkleber uns verheißen hatte, was auch einfach nur bedeuten konnte, dass die Fenster sich öffnen ließen. Dieses Mal hatten wir Glück, es handelte sich um einen tatsächlich gut gekühlten Bus mit sehr viel Beinfreiheit. Draußen waberte derweil eine tropische Hitze, die unseren Augen Tricks spielte und die Kleidung innerhalb von Sekunden durchschwitzen ließ.
So war es die letzten Monate gewesen. In der Tat war dieses Wetter unerträglich: klebrig, feucht, heiß, faulig. Stinkendes Brackwasser ließ Milliarden von Stechmücken heranreifen und uns angreifen. Im Land herrschte ein eklatanter Mangel an Autan, und Moskitonetze waren ebenfalls ständig vergriffen. Stiche juckten erbärmlich und entzündeten sich durch die ewige Kratzerei. Wir waren übersäht von unschönen, nässenden und eiternden Exzemen. Bis dahin verloren meine Frau und ich mehrere Liter Blut, so scherzten wir uns jedenfalls den unangenehmen Zustand beiseite.
Im Büro war es dank einer funktionierenden, laut pochenden Klimaanlage gerade erträglich genug, so dass ich den Aufenthalt dort dem Haus vorzog, in dem ein Kühlschrank offenbar verzichtbarer Luxus gewesen war. Ein Deckenventilator wälzte die heiße Luft lediglich um und verschaffte uns keine Linderung. Was Wunder, dass meine Frau die Tage bis spät in die Nacht alleine im Haus verbrachte, weil ich Überstunden machte. Arbeit war hier eine willkommene Abwechslung. Meiner Frau setzte dies allerdings sehr zu, die Hitze und das Alleinsein. Und so waren wir beide sehr froh, als meine Tätigkeit hier enden sollte und der Heimflug endlich anstand, zurück ins kalte Deutschland. Heizung, Kühlschrank, nordisches Klima.
Die Fahrt zum Flughafen indes sollte laut Reisebüro über mehrere Stunden dauern, also präparierte ich mich mit Arbeitsmaterialien. Der Bericht musste geschrieben werden. Im Bus beschrieb ich Postits, die ich zwecks Übersicht ans Busfenster kleben wollte, was aber misslang, da die Klebestreifen sich wohl mit Feuchtigkeit vollgesogen und ihre Klebefähigkeit dadurch verloren hatten. Es war geradezu lächerlich, dass ein klebrig-feuchtes Klima ausgerechnet Klebstoff zu neutralisieren in der Lage war.
Auf einer Rast sprach mich einer der Mitfahrer an. Er redete freundlich auf mich ein, allein ich verstand nicht, was er mir zu sagen hatte. Die Landessprache hielt ich nicht für nötig zu erlernen, Englisch verstand er wiederum nicht, was ihn dazu veranlasste, französisch mit mir zu sprechen. Was soll ich sagen, der zweite Bildungsweg beinhaltet keine zweite Fremdsprache. Daraufhin versuchte er mir sein Anliegen mit Händen und Füßen zu verdeutlichen. Auch dies Misslang. Am Ende kritzelte er etwas mit einem Stock in den staubigen Boden.
Dies verstand ich ebenso wenig. Allmählich verlor ich die Geduld, doch da beschied uns der Busfahrer, dass die Reise nun weiter ginge.
Ob es sich nun um Polizei oder um Militär handelte, die den Bus etwas später kontrollieren sollte, war in diesem chaotischen Land nicht nur unwesentlich, sondern auch gar nicht ausmachbar. Doch als Gäste besaßen wir einen Sonderstatus, eine Immunität vor Strafverfolgung und Willkür. Beides schien ebenfalls völlig ununterscheidbar, doch schützte es uns bisher davor, Opfer irgendeiner fehlgeleiteten Justiz zu werden.
In der Vergangenheit dieses heißen, schmutzigen Landes hatte es diverse Regimewechsel gegeben, die wie üblich aus Glaubensfragen hervorgingen. Mal herrschten jene mit dem Glaubensbekenntnis zum Kapitalismus, mal jene mit dem Bekenntnis zum Islam. Beides waren sie Seelenheil und Wohlstand versprechende Religionen, deren Kämpfer stets grausam und unbarmherzig waren und die weder das eine noch das andere einhalten konnten oder wollten. Das letzte Regime hatte deutsche Ingenieure für den Wiederaufbau des Landes bestellt, das aktuelle wies sie nun wieder aus dem Land und machte sich daran, ebensolche Ingenieure aus den muslimischen Nachbarländern zu rekrutieren. Und das sollte mir nur recht und billig sein, konnte ich doch mit meiner Frau nach Hause.
Der Polizist/ Milizionär, der unser Gepäck durchsuchte, hob ein Päckchen in die Höhe und rief nach seinen Kollegen. Ich weiß bis heute noch nicht, was darinnen war, denn das verriet man uns selbstverständlich nicht in dem darauf folgenden, stundenlangen Verhör in einem örtlichen, baufälligen Gebäude. Soviel stand aber für die Polizisten/Milizionäre fest: Jemand musste uns beauftragt haben, eben jenes Päckchen mit dem Flugzeug ins Ausland zu schmuggeln. Doch nach der Injektion einer Droge schien alles darauf hinzudeuten, dass wir tatsächlich von nichts wussten, höchstens eine Ahnung hatten, wer es uns hatte zukommen lassen.
Unsere Mitfahrer waren offenbar ebenfalls in dieses Gebäude verbracht worden und hatten offenbar die gleichen Verhöre hinter sich, wie an deren desolaten Zustand unschwer zu erkennen war. Einige darunter, überwiegend Europäer, waren sehr ungehalten über diese Behandlung, und beschimpften die Polizisten/Milizionäre, weswegen sie einige Blessuren davontrugen. Seltsam kalt blickten die Wachleute in die Menge, während sie auf sie einprügelte.
Der Offizier, der mich zuvor verhört hatte und nun mit uns im Raum war, begleitete mich in einen separaten Raum, in dem einige Mitfahrer in einer Reihe aufgestellt waren. Unter ihnen war auch derjenige, der mich auf der Rast angesprochen hatte. Ich deutete auf ihn, weil man von mir verlangte, alle anzuzeigen, mit denen ich auf der Fahrt Kontakt hatte. Freilich teilte ich dem Offizier mit, dass ich nicht wisse, ob er es war, der mir das Päckchen zugesteckt hatte. Noch während ich dies erklärte, fiel ein Schuss und der Mann sackte tödlich getroffen zu Boden. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Als ich schweißdurchnässt aufwachte, befand ich mich in einem Bus älterer Bauweise. Ich geriet sofort in Panik, weil ich dachte, ich würde nun in ein Gefängnis transportiert. Dann bemerkte ich meine Frau neben mir, die mich beruhigte. Sie sei die ganze Zeit wach gewesen und hätte mitbekommen, dass wir nun endlich zum Flughafen führen. Unsere Papiere und unsere Gepäckstücke wurden uns wieder ausgehändigt, nur der ursprüngliche Bus sei zur Beweisaufnahme konfisziert worden, was immer das heißen solle. Zudem hätten wir nun beide ein lebenslängliches Einreiseverbot. Ich sagte noch, dass ich darauf scheißen würde, bevor ich erschöpft, aber beruhigt in einen weiteren, tiefen Schlaf fiel.
Endlich erreichten wir den internationalen Flughafen und sahen den Terminal, weiß strahlend wie eine Verheißung. Die asphaltierten Landebahnen glühten in der Hitze und ein Geruch von Teer stieg in meine Nase. Die nationalen Flaggen hingen müde von den Fahnenmasten und symbolisierten nur mehr ein ermattetes Land. Das ohrenbetäubende Geräusch startender Flugzeuge störte die wabernde Ruhe des Mittags. Sogar die allgegenwärtigen Zikaden waren es müde, Laut zu geben. Es fiel mir auf, dass keine Flugzeuge landeten. Immer nur flogen sie davon, doch keines schien ankommen zu wollen.
Sonderbarerweise umfuhr unser alter Bus den Terminal weiträumig, änderte dann aprupt die Richtung, woraufhin wir uns eine ganze Weile auf einer Piste befanden. Der Terminal wurde zusehends kleiner, bis er ganz aus unserem Sichtfeld entschwand. Am Ende der Piste befand sich eine provisorisch zusammengenagelte Schranke und ein kleines Wärterhaus. Dahinter lag ein weites Gelände, umzäunt von einem Stacheldraht. Wir hielten an. Der Busfahrer bedachte die hervortretenden Wachen mit schnarrenden Worten. Die Wachen hoben die Schranke an und winkten den Bus herein. Wir fuhren weiter.
Von da an war der Weg unbefestigt, der Bus holperte über Schlaglöcher in verbrannter Erde. Staubwolken folgten uns. Endlich kamen wir an einer Baracke an, baufällig stand sie in der Einöde. Mit weißer Farbe stand darauf „Terminal 2“ geschrieben. Wir stiegen aus und streckten unsere Glieder. Irgendwie hatten wir nichts anderes erwartet nach den Vorkommnissen an diesem Tag. Gerne hätten meine Frau und ich etwas getrunken, leider war der Getränkeautomat außer Betrieb. Einige Passagiere versuchten es dennoch, hoben fluchend Sand aus dem Ausgabeschacht. Daraufhin schauten wir uns etwas um, vertraten uns die Beine. Wir entdeckten dabei eine Sandpiste.
Nahendes Motorengeräusch kündigte eine Maschine an. Sie setze am anderen Ende der Piste auf und kam stolpernd und hustend näher, wie ein alter, kranker Mann. Es handelter sich dabei um eine zweimotorige Dornier, die bei näherer Betrachtung bestenfalls als klapprig zu bezeichnen war. Ein Fenster im Passagierbereich war eingeschlagen, und als die Besatzung die Maschine verlassen wollte, klemmte die Tür zunächst, bis sie sich mit einem Ruck öffnete und hernach schief in den Scharnieren hing. Dennoch war ja der Beweis erbracht, dass dieses Teil flugtauglich war, und die Aussicht, nach Hause zu kommen ließ es uns als das schönste Flugzeug dieser Welt erscheinen.
Die anderen schnatterten und blökten wie Vieh, als sie das Gerät erblickten, waren weitaus weniger zuversichtlich. Wie um sich abzulenken vor drohendem Ungemach tauschten sie sich aus mit vielen Geschichten über Erlebtes, über Länder, Sitten, über Kunst und Siechtum. Als dann plötzlich ein Kleintransporter einfuhr, neben den zwei uniformierten Fahrern eine aufgeregte Frau, wahrscheinlich eine Britin, war die Überraschung groß. Sie teilte uns mit, dass im Terminal 1 eine wichtige Übertragung eines Fußballspiels gezeigt werde und lud uns höflich dazu ein, mit ihr zu kommen. Mich selbst interessiert der Sport nicht sehr, und ein Blick auf die an der Baracke angebrachte Zeittafel wies darauf hin, dass unsere Maschine wohl bald starten würde. Doch einige Passagiere, darunter meine Frau, ließen sich in Erwartung dieser willkommenen Abwechslung davon nicht beirren und stiegen auf die Ladefläche des Transporters. Sie hinterließen eine Staubwolke zur Erinnerung.
Ich setze mich in einen Schatten und wartete darauf, einzuchecken. Der Durst war mittlerweile unerträglich geworden, und beinahe beneidete ich meine Frau, die nun wahrscheinlich bei gut gekühlten Getränken diese banale Spiel betrachtete. Die Hitze flimmerte mir vor Augen, und die Exzeme begannen wieder zu jucken und zu nässen. Mein Tuch war mittlerweile unbrauchbar geworden, es war feucht und voller Dreck. Ich warf es weg, es lag wie ein Fremdkörper im heißen Staub. Dann dämmerte ich weg. Mir träumte von saftigen Wiesen und kalten, klaren Bächen. Meine Frau reichte mir Gebäck zum Tee, und wir waren beide nackt. Plötzlich wurde der Bach trübe von brauner Erde, bis das Wasser ganz versiegte und an seiner Stelle Sand floss. Ich schaute meiner Frau in die Augen, doch da waren keine Augen mehr, nur dunkle Löcher, aus denen derselbe Sand rieselte wie im Bach. Sie sagte etwas, doch ich konnte es nicht verstehen, da das herannahende Pferdegetrappel zu laut war. Dann ergoss sich aus ihrem Mund Schlamm und ich wurde wach.
Die Reiterinnen waren gekleidet in lange Gewänder und in ihre Gesichter verhüllende Kopfbedeckungen. Es war nicht die landesübliche Bedu-Tracht, viel moderner, fast futuristisch mutete die Kleidung an, wie von Gaultier entworfen. Die Anführerin unter den fünf Frauen war in ein leuchtendes, elegantes Weiß gewandet, ihre Kopfbedeckung verbarg ihr vornehmes Gesicht nur halbseitig. Ihre Begleiterinnen hatten zum Teil gehäkelte Masken mit herausgearbeiteten Nasen. Sie sattelten ihre Pferde ab, versorgten sie und banden sie fest. Dabei schaute mich die Anführerin beiläufig an, ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. In diesem Moment starteten die Motoren des Flugzeugs und wir wurden aufgefordert, einzusteigen. Die Augen der Frau waren Fallen.
HEK 18.02.2009

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