Es war dann so, dass ich zu einem ordentlichen Bußgeld verdonnert wurde, da ich ja die Straßenbahn so ganz ohne gültigen Fahrschein genutzt und dann auch noch den Kontrolleuren erbitterten Widerstand geleistet hatte. Man wies mich darauf hin, dass mich eine zweite solche Verfehlung zur unerwünschten Person machen würde und ich niemals wieder eine Straßenbahn ortsintern würde benutzen dürfen.
Um dem vorzubeugen, entschloss ich mich dazu, erst gar keine ortsinterne Straßenbahn mehr zu benutzen. Erstens würde man mich darin sofort wieder erkennen und mit dem Finger auf mich zeigen. Das wäre mir unangenehm gewesen. Zweitens hatte ich Furcht, aus ähnlich moralisch zweifelhaften Gründen wie kürzlich, denselben Faux Pas wieder zu begehen. Und damit wäre ich für die Gemeinde einfach nicht mehr zu ertragen gewesen, ich hätte den Wohnort wechseln müssen, und mit dem üblen Leumund im Nacken wäre auch dort ein Neustart beinahe unmöglich gewesen.
Deswegen entschied ich mich dazu, notwendige Wege einfach zu Fuß zu gehen. Damit war allen gedient: Dem örtlichen Nahverkehrsbetrieb, der Bevölkerung und natürlich mir selbst. Der Versuchung zu widerstehen hieß letztendlich, die Versuchung zu umgehen. Ich war ein trockener Schwarzfahrer, den eine einfache Bahnfahrt hätte rückfällig machen können.
Als ich dann wieder einmal einen wichtigen Termin in der Stadt hatte, machte ich mich auf den Weg. Anfangs ging es auch gut voran. Doch dann, ich nahm eine Abkürzung durch den Park, stand ich abermals vor einer ernsten Situation: Während ich da so nichtsahnend vor mich hin lief, beinahe heiter, stand da ein großer schwarzer Hund vor mir und wollte mich gar nicht vorbei lassen. Schon überlegte ich, ob ich nicht einen Schlenker über den Rasen machen sollte, um die Blockade zu umgehen. Doch leider war das Betreten des Rasens verboten, und ich wollte mich nicht schon wieder mit Ordnungskräften jedweder Art anlegen.
Besser schien es tatsächlich, sich der Bedrohung zu stellen, sogar konstruktiv mit ihr umzugehen. Ich hielt Ausschau nach dem Halter des Hundes. Ein paar Meter entfernt sah ich den einzigen Menschen weit und breit. In seiner Rechten baumelte eine Hundeleine, in seiner Linken hielt er ein Mobilfunktelefon. Er unterhielt sich angeregt und war wohl gerade nicht ansprechbar. Also wartete ich ein paar Minuten. Ich war mir aber auch nicht richtig sicher, ob der Hund dem Mann tatsächlich gehörte. Vielleicht handelte es sich ja um einen neuen Modespaß, eine Hundeleine um das Handgelenk geschlungen zu tragen. Heutzutage war ja alles möglich.
Dann wurde ich jedoch ungeduldig, ich hatte ja einen wichtigen Termin einzuhalten. Deshalb rief ich dem Mann zaghaft zu, ob es denn sein Hund sei, der mir den Weg verwehrte, und wenn ja, ob es denn bitte möglich sei, seinen Hund zu sich zu holen, damit ich passieren könne. Doch der Mann reagierte zunächst überhaupt nicht. Dann rief ich, mit zitternder Stimme zwar, etwas lauter. Der Mann verdrehte die Augen, hielt das Mobilfunkmikrofon mit der Hundeleinenhand zu und entgegnete mir, ich solle doch an dem Hund vorbei laufen, er würde mir schon nichts tun. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob ich einem fremden Mann ungeprüft Glauben schenken durfte, und blieb zunächst einfach stehen. Ich wiederholte mein Anliegen ängstlich, doch der Mann war wieder in sein Telefongespräch vertieft und schien mich nicht zu hören.
So stand ich nun eine ganze Weile, und nichts bewegte sich. Ich hatte nun doch wirklich keine Zeit mehr, und so keimte in mir der Gedanke, die Alternative mit dem Umweg über den Rasen unter Umgehung der verbotenen Betretung desselben zu ergreifen. Leider tat ich dies dann so hektisch, dass der Hund wohl erschrocken war und nach meiner Hand schnappte, wobei ich diese panisch zurückzog und dem Hund mit der daran befindlichen Tasche versehentlich auf die Schnauze schlug. Er missinterpretierte dies als Angriff, sprang mich an und warf mich zu Boden, woraufhin er sich in meinem Arm fest biss.
Endlich kam auch der Hundehalter hinzu und schimpfte mit mir: Was ich denn hier mit seinem Hund veranstalte? Ob ich denn nichts anderes zu tun hätte, als seinen lieben Freund zu ärgern und zu nötigen? Darauf hatte ich, wohl auch wegen des Schmerzes in meinem Arm und der ganzen Panik, die mich anheim fiel, nichts weiter zu entgegnen. Der Hundehalter beendete sein Telefongespräch wütend, und mir tat alles sofort leid. Immer machte ich alles verkehrt.
Ich bat ihn trotzdem, den Hund doch bitte von mir fort zu nehmen, was dem Hundehalter allerdings nicht ganz leicht fiel, da der sich ziemlich an meinem Arm fest gebissen hatte, einerseits, und andererseits, weil es ihm wohl ganz gut gefiel, wie sein Hund mit seinem Peiniger umging. Aber letztendlich wollte er wahrscheinlich verhindern, dass das Tier durch ein allzu ruppiges Fortziehen in seinem Beißverhalten traumatisiert würde.
Als es ihm endlich doch noch gelang, das Tier von mir zu befreien, bemaß er mich eines strafenden Blickes. So was hätte er nun noch nicht erlebt. So etwas dämliches. Ob ich denn nicht um die Natur des Tieres wisse? Ob ich denn nicht etwas aufpassen könne? Sofort entschuldigte ich mich bei dem Mann. Es täte mir leid, dass er sein Telefongespräch wegen meiner Person habe beenden müssen. Ich selbst habe aus purem Egoismus, bloß weil ich nicht zu spät zu meinem Termin habe kommen wollen, den Hund samt seinem Halter in eine unzumutbare Situation gebracht. Warum musste ich auch durch den Park gehen, wo ich doch wusste, dass man dort gerne seinen Hund von der Leine ließe? Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Jeder wisse doch, dass Hunde Angst und Unsicherheit wittern. Allein meine Unfähigkeit, diese Gefühle zu verbergen und stattdessen dominantes Verhalten zu zeigen, woraufhin der Hund bestimmt gekuscht hätte, hatte mir dieses Unglück eingebracht. Ihn, den Hundehalter, treffe ganz gewiss keine Schuld. Allein mein unangebrachtes Verhalten sei dafür verantwortlich. Es wäre mir überaus unangenehm, würde er, der Hundehalter, meiner Tollpatschigkeit wegen Schuldgefühle davontragen. Gar nicht zu sprechen von dem psychischen Schaden, den der Hund bestimmt erlitten habe. Wie ich dies bloß wieder gutmachen könne?
Mir blieb nur eines: Mit meinem gesunden Arm zog ich die Brieftasche aus meinem Mantel. Der Hundehalter blickte sich verstohlen um, dann nahm er mir die ganze Brieftasche weg und verschwand, nicht aber ohne mich vorher noch einmal als Tierquäler zu beschimpfen und zu konstatieren, wie recht mir geschehe, und überhaupt: hoffentlich müsse mir der Arm amputiert werden. Ich fand, sein Ärger war durchaus gerechtfertigt. Ich würde wohl in Zukunft noch besser aufpassen müssen. Solche Fehler durften mir einfach nicht mehr passieren.
Hernach fiel mir ein, dass ich ja noch etwas zu erledigen hatte. Doch zuerst musste ich mich noch etwas herrichten. Ich konnte unmöglich verspätet und mit blutendem Arm zu meinem Termin erscheinen. Was sollten die Leute von mir denken? Man hatte ja ohnehin schon ein wachsames Auge auf mich geworfen. Da musste ich mich wohl oder übel doppelt, nein dreifach anstrengen, um mich wieder akkreditieren zu können. Ich zog also ein Taschentuch aus meiner Brusttasche und versuchte die selbstverschuldete Wunde notdürftig zu versorgen.
In jenem Moment aber trat ein Polizist auf mich zu und sprach mich an. Was ich denn hier machen würde? Ob mir klar sei, dass ich mich in unerlaubter Weise auf der Wiese aufhalte? Hier stünde doch klar und deutlich „Betreten Verboten!“. Ob mich die öffentliche Ordnung denn gar nicht interessiere? Er wolle bitteschön einmal meinen Ausweis sehen. Da ich keinen vorzeigen konnte, bezichtigte er mich der Landstreicherei und sprach einen Platzverweis aus. Dieses Mal hätte ich aber noch Glück gehabt, rief er mir hinterher. Beim nächsten Mal müsste ich einen ordentlichen Batzen Bußgeld entrichten. Mit solchem Gesocks wie mir habe er aber auch noch ganz andere Pläne, falls ich wisse, was er meine.
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